Der Domino-Verein

Um mich beim Lesen zu fördern, bestellten meine Eltern für mich ein Bücher-Abonnement beim Domino-Verein. Dieser Verein hatte als Vereinsziel die Förderung des Jugendschrifttums und vom dazugehörigen Verlag, dem Domino-Verlag Günther Brinek aus München, bekam man dann in regelmäßigem Turnus Bücher zugeschickt, die zum jeweiligen Alter als Kind bzw. als Jugendlicher passten.

Zunächst ging es um das Lesen an sich, und so war das erste Buch des Domino-Verlags, das ich ein kleiner Erstklässler bekam, eine Tiergeschichte mit dem Namen "Igel sucht Igel". Sie handelte von einem einzelnen Igel, der heranwächst und Erfahrungen mit seiner Umgebung macht.

Nicht nur mit anderen Tieren macht der Igel Bekanntschaft, auch mit einzelnen Menschen und mit dem Fahrzeugverkehr. Dabei sind ihm die Menschen nicht immer wohlgesonnen. So vermittelte die Geschichte "Igel sucht Igel", die sich an Kinder richtet, die gerade das Lesen gelernt haben, durchaus bereits die Erkenntnis, daß Menschen in manchen Fällen sehr feindlich gegenüber Tieren gesinnt sind.

Später ging es in den Büchern nicht nur um reine Geschichten, sondern es gab etwas zu Lernen. So spielten Rätsel beispielsweise in der Welt der Logik oder im kindlichen Alltag, es gab Texte darüber, was man im jeweiligen Alter bereits alles kann oder wie man sich in bestimmten Situationen richtig verhält.

Spätere Bücher, die ich als Jugendlicher vom Domino-Verein bekam, handelten von gesellschaftlichen Problemen, etwa von Drogensucht oder von Krieg, Flucht und Vertreibung.

Es war eben tatsächlich nicht etwa seichte Unterhaltungsliteratur, sondern auch politische Bildung, die die Kuratoren vom Domino-Verein als Bestandteil des Buch-Abonnements praktizierten. Es war also ein gesellschaftlich sehr progressiver Verein, nicht nur die Versorgung der Jugend mit Literatur, sondern die Bildung zum mündigen Staatsbürger als Ziel verfolgte.

Manche dieser Texte klingen auch heute wieder erschreckend aktuell, zum Beispiel wenn es um die Vertreibungen als Folge des Zweiten Weltkriegs geht und dabei um die Situation der Polen, die Osten des Landes von der damaligen Sowjetunion vertrieben wurde und statt dessen in neuen Westgebieten Polen angesiedelt wurden, wo vorher die deutsche Bevölkerung vertrieben wurde.

Das Erscheinen dieser Bücher fiel damals in die Zeit der Entspannung, die Zeit des Kniefalls von Warschau durch Willy Brandt und Zeit der Ostverträge.

Aus heutiger Sicht mag dies wie eine lang entfernte Vergangenheit wirken, sind doch inzwischen Deutschland und Polen (und auch viele der östlich angrenzenden Statten der ehemaligen Sowjetunion) inzwischen in der Europäischen Union friedlich miteinander vereint.

Und doch ist es immer noch aktuell, daß Politiker in vielen Staaten immer wieder alte Gebietsansprüche proklamieren und der Fortbestand der Europäischen Union in Frage gestellt wird.

Ja, ich bin aufgewachsen in einer Zeit der großen Machtblöcke. Deutschland war durch eine schwer bewachte Mauer in zwei Teile getrennt, Ost und West standen sich in Europa mit gefechtsbereiten Atomraketen gegenüber.

Aber nicht nur die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten war schwierig zu überwinden, auch beim Reisen von der Bundesrepublik Deutschland in die benachbarten westlichen Länder mussten Grenzkontrollen und Zollanmeldungen absolviert werden.

Gerade deshalb freue ich mich über ein vereintes Europa, in dem die Grenzen nur noch die Bedeutung reiner Verwaltungsgrenzen haben, aber die Menschen nicht mehr voneinander separieren.

Das Blättern in den Büchern des Domino-Vereins ist für mich somit auch eine Zeitreise in meine Kindheit, in die Zeit, in die ich hineingeboren wurde und in der ich aufgewachsen bin.

Dieses Angebot des Bücher-Abonnements durch den Domino-Verein gibt es schon lange nicht mehr. Inzwischen sind gute Bücher für Kinder und Jugendliche im regulären Buchhandel erhältlich, der Bedarf an einer besonderen Kuratierung von Jugendschrifttums wird heutzutage nicht mehr gesehen. Mich aber hat diese Buchreihe in langsamen Schritten an die (zuweilen grausame) Realität der Welt herangeführt.

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