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Alice Schwarzer: Ich bin auch noch da!


von Daniel Rehbein, 16.07.2007      

Geht man dieser Tage durch die Stadt, so kann man auf diversen Plakaten eine seltsame Zusammenarbeit sehen: Alice Schwarzer wirbt für die Bild-Zeitung. Mit dem Werbespruch "Jede Wahrheit braucht eine Mutige, die sie ausspricht" und dem schon länger im Werbemarkt etablierten Slogan "Bild-Zeitung: Dir Deine Meinung!" schaut Alice Schwarzer mit verschränkten Armen in die Kamera.

Ausgerechnet Alice Schwarzer, die Streiterin für Frauenrechte, die Kämpferin gegen Pornographie, die mehrfache Klägerin gegen freizügige Darstellungen von Frauen, wirbt für genau das Zeitungspapier, das sie immer wieder als sexistisch angreift, in dem Frauen vor allem in den Anzeigen von Sex-Hotlines und Bordellen sowie als halbnackte Seite-1-Mädchen auftauchen?

"Jedem Tierchen sein Pläsierchen" sagt der Volksmund, als "Dir Deine Meinung" formuliert es die Anzeigenkampagne der Bild-Zeitung. Aber Alice Schwarzer ist doch eigentlich nicht die Frau, die der Bild-Zeitung ihre Meinung läßt. Vor allem dann nicht, wenn diese Meinung sich in Sex-Anzeigen und anzüglichen Sprüchen manifestiert. Was also hat Alice Schwarzer dazu bewogen, für die Marketing-Kampagne der Bild-Zeitung zu posieren?

Ein Blick auf die Internet-Homepage von Alice Schwarzer zeigt folgende Formulierung:

[Foto:alice-schwarzer-bild-zeitung.jpg]

"Zur Zeit läuft eine Plakataktion der BILD-Zeitung, die – nach vielen toten Männern – in diesen Tagen auch mit mir wirbt. Es heißt da: 'Jede Wahrheit braucht eine Mutige, die sie ausspricht.' Verständlich, dass viele glauben, dies sei ohne meine Zustimmung geschehen, denn mein kritisches Verhältnis zu BILD (und deren Wahrheitsgehalt) ist kein Geheimnis.

Doch ich habe zugestimmt. Ganz einfach, weil ich finde, dass es nicht schaden kann, wenn in so einer Runde – von Gandhi und Freud bis Einstein und Brandt – auch mal eine Frau auftaucht. Und eine sehr lebendige noch dazu."

Ist Frau Schwarzer also die selbsternannte Quotenfrau, die selbst in ungeliebten Bereichen präsent sein möchte, damit Frauen dort überhaupt vertreten sind? Sollte man Frau Schwarzer darauf hinweisen, daß Frauen auch in der Kriminalstatistik erheblich unterrepräsentiert sind? Sollte man Frau Schwarzer dazu animieren, sich als Bankräuberin zu verdingen, um die Statistik zu verschönern? Ist sie demnach eine Frau, die lediglich glaubt, sie würde für die Gleichberechtigung der Frau eintreten, in Wirklichkeit aber neue Schubladen schafft? So wie an der Universität, wo manche Studentinnen stolz verkünden, daß sie in der Öffentlichkeit rauchen, denn es gibt ja Länder auf dieser Erde, wo Frauen in der Öffentlichkeit nicht rauchen dürfen. Solche Aussagen gelten im Minikosmos der Universitäten, wo die Männer dem Konzept der Political Correctness folgen und deshalb einer Frau nicht zu widersprechen wagen, wo somit im Umgang miteinander alles als richtig akzeptiert wird, wenn es denn von einer Frau gesagt wurde und keine andere Frau widerspricht.

Doch diese Kritik paßt nicht so recht: Frau Schwarzer ist keine unerfahrene junge Frau, die vom Feminismus nur den Begriff kennt. Sie wurde im Dezember 1942 geboren, steht seit 1966 als Journalistin im Berufsalltag. Als sie 1971 mit einer medienwirksamen Aktion zum §218 in die Öffentlichkeit trat, war sie bereits 28 Jahre alt. Eine gestandene Frau also, die die Realitäten des Lebens kennt, die fest im Leben steht.

Allerdings muß in einer solchen Betrachtung auch zur Sprache kommen, daß das gesellschaftliche Umfeld der damaligen Zeit eine Ausgestaltung hatte, die unserer heutigen Zeit in vielen Punkt fremd ist: Der Schwangerschaftsabbruch war gemäß §218 nahezu uneingeschränkt eine Straftat. Die Berufstätigkeit von Frauen waren in der Regel auf die Zeit vor der Eheschließung beschränkt, unverheiratete Frauen wurden "Fräulein" genannt. Beamtinnen wurden mit ihrer Eheschließung automatisch aus dem Beamtenstatus entlassen. Verheiratete Frauen mussten ihren Eheman um Genehmigung bitten, wenn sie einem Beruf nachgehen wollten. Eine solche Zustimmung konnte der Ehemann jederzeit wieder zurückziehen und damit den Arbeitsplatz seiner Frau auch ohne deren Wissen wieder kündigen.

Die meisten dieser gesetzlichen Merkwürdigkeiten wurden in 1970er-Jahren aufgehoben, sie kommen uns heute vor wie Märchen aus einer fernen Welt. Der Schwangerschaftabbruch ist mittlerweile bis zur 12. Schwangerschaftswoche (die 14. Woche nach der letzten Regelblutung) straffrei möglich.

Dafür kommen in der heutigen Zeit neue Aspekte zum Tragen: Der straffreie Abbruch der Schwangerschaft ist zunehmend nicht mehr hauptsächlich ein Instrument der Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper, sondern Argumentationsfeld von Ärtzten im Bereich der Pränataldiagnostik. Mittlerweile ist die vorgeburtliche Untersuchung auf Krankheiten der Regelfall. Wird beispielsweise ein Down-Syndrom festgestellt, so entscheiden sich etwa 90% nach Zureden des Arztes für einen Schwangerschaftsbruch – obwohl Menschen mit Down-Syndrom durchaus ein glückliches Leben führen können. Die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs wird so benutzt für eine neue Form der Eutanasie, bei der die Frauen nur noch formal entscheiden, tatsächlich aber Arzte die wesentliche Rolle spielen. Mittlerweile müssen Mütter sich schon dafür rechtfertigen, wenn sie ein Kind mit einer diagnostizierbaren Behinderung zur Welt gebracht haben – eine gegenüber früheren Jahren völlig veränderte Herausforderung für den politischen Kampf der Frauenbewegung.

[Foto:alice-schwarzer-bild-zeitung.jpg]

Die ganze Welt um uns herum hat sich verändert. Die in den 1970er-Jahren noch mit Euphorie hochgelobte Zukunftstechnologie Kernkraft sehen wir heute sehr kritisch. Die als moderner Wohnungsbau geltenden Hochhaussiedlungen der 1970er-Jahre werden heute verkleinert oder gleich ganz abgerissen. Die autogerechte Stadt ist heute nicht mehr das zentrale Ziel der Stadtplanung. Und auch das Verhältnis der Menschen zueinander ist ganz anders: Heutzutage lassen sich Menschen nicht mehr in vorgefertigte Rollen pressen. Das Geschlecht des Menschen ist nicht mehr durch seinen Körper festgelegt, seit 1981 haben Transsexuelle in Deutschland ein Recht darauf, ihren Körper dem Geschlecht anpassen zu lassen. Lesben, Schwule und Bisexuelle leben selbstbewußt ihr Leben, sind von der Gesellschaft anerkannt. Frauen treten selbstbewußt auf, fordern ein erfülltes selbstbestimmtes Liebesleben. Frauen kaufen ein in Sex-Shops. Frauen kaufen und konsumieren Pornographie, weil sie nicht nur das sehen wollen, was ihnen von Männern ausgesucht wird.

Jedoch abzeptiert Alice Schwarzer sexuelle Selbstbestimmung nur dort, wo diese dem Feminismus der 1970er-Jahre und den damals herschenden gesellschaftlichen Auffassungen entspricht. Besonders augenfällig wird dies bei Frau Schwarzers Kampf gegen die sexuellen Praktiken des Sadomasochismus: Da gibt es Frauen und Männer, die es lieben, sich einem anderen Menschen vollständig auszuliefern, für einen abgesprochenen Zeitraum einer anderen Person das absolute Vertrauen auszusprechen, und entsprechend Frauen und Männer, die genau dieses Vertrauen mit Inhalt ausfüllen, die ihre Befriedigung daraus ziehen, anderen Menschen einen Höhenflug zu den Grenzen und Abgründen der Gefühlswelt zu verschaffen. Frau Schwarzer ignoriert nicht nur, daß derartige Gefühle bei Menschen existieren, sondern auch, daß diese nichts mit Geschlechterrollen zu tun haben, daß sie sowohl von Frauen und Männern in verschiedenen Konstellationen, als auch von Frauen oder von Männern untereinander ausgelebt werden. Statt dessen schreibt sie in ihrer Zeitschrift Emma, Ausgabe 2/1991: "Die Propagierung des weiblichen Masochismus durch Männer ist ein Angriff, durch Frauen ist es Kollaboration mit dem Feind." Im Universum der Alice Schwarzer wird brav Vanille gegessen, eine Frau, die in die Achterbahn des Schokoladengenusses einsteigt, ist ein verkappter Mann, der Feind, den es zu bekämpfen gilt!

Entsprechend bließ Alice Schwarzer auch zum Angriff auf Helmut Newton, jenen Star-Photographen, der mit seinen kunstvoll in Szene gesetzten Motiven das Spiel von Unterwerfung und Dominanz persifliert. Der Künstler, der bewußt durch vertauschte Requisiten, durch geschicktes Spiel mit Großenverhältnissen, die Rollen des sexuellen Spiels vertauscht und hinterfragt, der diesen häufig viel zu ernst genommenen Bereich menschlicher Interaktion mit hintergründigem Humor betrachtet. Und der damit genau das macht, was Kunst in unserer Zeit machen soll: Den Betrachter zum Nachdenken anregen. Nun ist Frau Schwarzer wohl kein Mensch für versteckte Botschaften, für das Nachdenken über subtilen Humor, sie denkt plakativ und sieht in Helmut Newton die Personifizierung der Frauenunterdrückung. Im November 1993 veröffentlicht sie 19 Bilder des
Photographen in der Zeitschrift Emma und verliert anschließend den von Newtons Verleger angestrengten Prozeß auf Honorarzahlung. Das Landgericht München beschied Frau Schwarzer im Juli 1994, daß zum Artikel über die angebliche Frauenverachtung Helmut Newtons Photos zwar prinzipiell als Bildzitate honorarfrei zulässig seien, bei der Zahl von 19 Photos es sich aber nicht mehr um Zitate handele, sondern Alice Schwarzer eine eigenständige Veröffentlichung der Bilder Helmut Newtons vorgenommen habe.

Andererseits überrascht Alice Schwarzer uns im Dezember 2006 plötzlich mit der Nachricht, daß eine mögliche Nachfolgerin für die Chefredakteurin der Zeitschrift Emma die bekannte Schauspielerin Anke Engelke sein könnte. Ausgerechnet Anke Engelke, jene Frau, die öffentlich alles das tut, wofür Frau Schwarzer jeden Mann in Grund und Boden verdammen würde? Die dem deutschen Fernsehvolk zur besten Nachmittagszeit derbe sexuelle Begriffe zuruft, die ähnlich wie Helmut Newton sexuelle Rollenspiele persifliert und verdreht, die kurzzeitig der Aura von Tabubrecher und Kamikaze-Moderator Niels Ruf erlegen war. Jene Frau also, die das völlige Gegenteil von dem verkörpert, was Alice Schwarzer in der Öffentlichkeit darstellt.

Und nun steht sich plötzlich vor uns in der Fußgängerzone, als personifizierte "Kollaboration mit dem Feind". Sie schaut uns offensiv und doch zurückgezogen hinter verschränkten Armen an. Über ihr der Spruch von Wahrheit und Mut, unter ihr das Logo "Bild-Zeitung: Dir Deine Meinung", das Werbelogo des Zeitungsblattes, das alles das verkörpert, gegen das Alice Schwarzer jahrzehntelang mit Energie gekämpft hat und noch immer kämpft.

So bleibt letztlich die Erkenntnis: Alice Schwarzer sucht verzweifelt den Anschluß an die Gegenwart. So, wie Anke Engelke der Typos der heutigen selbstbewußten Frau ist, so ist offenbar die Bild-Zeitung die Repräsentation der deutschen Öffentlichkeit und Gegenwart. In der Welt der Bild-Zeitung, in der Seite-1-Mietzen und Sex-Hotlines friedlich vereint mit der Papst-Bibel neben Sensationsgeschichten über Nymphomaninnen und Ritualmorde erscheinen, wo nach der Wahl eines deutschen Papstes die gesamte Leserschaft mit der Schlagzeile "Wir sind Papst!" zu gläubigen Katholiken erklärt wird, da ruft auch Alice Schwarzer "Eine Frau soll auch dabei sein, nehmt mich!". Spätestens nach ihrer Erklärung mag die Leserschaft nun kollektiv jubeln: "Wir sind Quotenfrau!".

 
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